Bio-boomt!

 

Mit den Glykol-Weinen fing es an, heute sind Pferdefleisch-Skandal, falsch deklarierte Bio-Eier und Etikettenschwindel an der Tagesordnung, bereits im Stall fängt es an, Dioxin verseuchtes Futter wurde entdeckt, es war ein Zufall. Denn ein wirksames Lebensmittel-Kontrollsystem existiert weder in Deutschland noch in Österreich - den Essenspanschern sind Tür und Tor geöffnet. Viele Verbraucher sind verunsichert und sie gehen trotzdem am nächsten Tag zum Supermarkt und Billig-Discounter um möglichst günstig einzukaufen. Wie passt aber Bio und billig zusammen? Zahlen wir nicht für „Billig“ am Ende einen teuren Preis?

 

Nennen wir sie einfach Frau Monika Musterfrau. Sie geht zwei- bis dreimal wöchentlich in der Supermarkt und schlendert mit Ihren Einkaufswagen durch die Gänge. Sie ist 40 Jahre,

verheiratet, berufstätig und hat ein Kind. Pro Einkauf wendet sie durchschnittlich 26 Minuten auf und gibt im Schnitt 29 Euro aus. Fast siebzig Prozent Ihrer Kaufentschei-dungen trifft sie spontan. Ihr gegenüber Herr Anton Mustermann mit einem Einkaufszettel, er ist 43 Jahre alt, Angestellter, verheiratet mit einem Kind. Sein Einkauf dauert 18 Minuten, dies maximal zweimal die Woche und er gibt im Schnitt 47 Euro aus. Von seinen acht aufgeschriebenen Produkten kauft er sechs und 18 weitere Spontan-Produkte. Man könnte fast von einem Blindkäufer ausgehen. Dies sind die Ergebnisse von Studien der GfK (Gesellschaft für Konsumforschung). Die Wissenschaftler beobachteten und befragten mehr als 3000 EinkäuferInnen in Supermärkten und Diskountern. Frau und Herr Musterkäufer greift in den Regalen auch immer mehr zu Bio-Produkten. Mit ihnen kaufen sie sich nicht zuletzt in gutes Gewissen. Steht nicht Bio für gesunde Ernährung, artgerechte Tierhaltung und nachhaltige Landwirtschaft. Möglichst

preiswert soll das Bio-Produkt für viele aber dennoch sein.

Wie passt Bio und billig zusammen? Auf unsere Frau und Herrn Musterfrau/mann gehen wir noch ein, hier aber erstmal eine Suche nach Antworten: Mit dem Buch „Die Supermarkt-Lüge“ von Jörg Zipprick und dem Titelzusatz: „Wie uns die Lebensmittelindustrie für dumm verkauft“ gewinnen wir erste Eindrücke einer gut funktionierenden Marketingstrategie der Lebensmittelbranche. Zipprick beschreibt die mannigfachen Methoden von Supermärkten und Lebensmittelindustrie, die Profite zu steigern: angefangen bei der Kundenmanipulation mit Weichspülmusik – so dudelt etwa in der Nähe von Pensionistenheimen mit Vorliebe instrumentale Volksmusik, wohingegen rund um Schulen vor allem Pop zu hören ist –, über perfide geschlichtete Ware in den Regalen bis zur Vermarktung stark zucker- und fetthaltiger Produkte als „leichte, gesunde Snacks für Zwischendurch“ oder dem Einsatz von Geschmacksverstärkern, Weichmachern und Farbstoffen. Der Autor erklärt uns aber auch, wie man die fiesen Schmähs der Konzerne durchschauen kann, und gibt Tipps, wo und wie man besser einkauft. Er selbst kauft natürlich auch am liebsten auf dem heimischen Wochenmarkt ein, nur dabei gibt es ein beschränktes Angebot und Nachfragen / Hinterfragen hat noch nie geschadet, damit schafft man gegenseitiges Vertrauen.

Wer sich den Appetit verderben lassen will, braucht nur einen Blick auf die Website des europäischen Schnellwarnsystems RASFF zu werfen. Was bedeutet das? Warnmeldungen (Alert Notifications) betreffen Lebens- oder Futtermittel, von denen ein Risiko für die menschliche Gesundheit ausgeht und die sich in einem der am Netz beteiligten Staaten in Verkehr befinden. Die Warnmeldung wird von dem Mitgliedstaat herausgegeben, in dem ein vom Produkt ausgehendes Risiko festgestellt wurde. Befindet sich die betroffene Ware bereits beim Verbraucher, wird eine Warnung der Öffentlichkeit, zum Beispiel in Form einer Pressemitteilung durch den Hersteller beziehungsweise Importeur oder die zuständige oberste Landesbehörde veranlasst. Die Lebensmittelströme wachsen rasant und so kommen hunderte Meldungen täglich zusammen und veröffentlicht wird auf der Plattform z.B.: Quecksilber in geräuchertem

Schwertfisch aus Spanien; Glasfragmente in Fruchtschnitte aus Deutschland; Salmonella Ohio in gesalzenen und gefrorenen Hähnchenbrustfilets aus Brasilien; Aflatoxine in gerösteten Haselnüssen aus der Türkei; Salmonella Mbandaka in Sojaproteinerzeugnissen aus den Vereinigten Staaten, hergestellt in Israel; Hepatitis A - Viren in gefrorener Beerenmischung aus Italien, mit Rohmaterial aus Serbien, Ukraine via Österreich und so geht es tagtäglich weiter, so sind schon Aflatoxine, nur krebserregende Schimmelpilzgifte, eine Warnung fehlt schlichtweg. Das ist eine Auswahl aus rund 500 Meldungen vom Juli 2013. Natürlich hat das Schnellwarnsystem die Sicherheit bei Lebensmitteln verbessert, nur was nützt es, wenn ich die Beerenmischung vor einer Woche gegessen habe und sie sind hochgradig mit Keimen belastet gewesen. Martin Müller, vom Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure sagt: „Bürger werden entmündigt, wenn wir Ihnen erst im Nachhinein die ekligen Tatsachen präsentieren“. Wir leben in Deutschland und auch in Österreich in einem überforderten Überwachungssystem. Wir hinken mit unserer Lebensmittelkontrolle der globalen Lebensmittelindustrie weit hinterher.

 

Viele Angestellte in den Discountern und Supermärkten wissen oft nicht was für ein Gift sie etikettieren und in die Regale stellen. Sie sind nicht die schuldigen, die internationalen und auch nationalen Konsumgüterhersteller, die Profitgier der Unternehmer und das Management müsste hier zur Verantwortung gezogen werden, doch die Politik schweigt. Nun aber zu einem Beispiel das Schule machen könnte: Ein Bauer, der Bio-Eier für Supermärkte produzierte und dabei zunehmend in einen Gewissenkonflikt gekommen ist. Er musste immer günstiger produzieren, damit sein Abnehmer Bio-Billigpreise anbieten konnte. Wir haben den Bauern Anonymität zugesichert, dann kam er aus sich heraus: „Ich hatte irgendwann keine Achtung vor dem Tier mehr. Meine Hühner sahen aus wie in diesen investigativen Tier-Dokumentationen im Fernsehen. Sie waren miserabel gefiedert. Ich habe mich geschämt.“

Rückblick: 5.000 Hühner hält er im Jahr 2000 auf seinem Bauernhof, dies auf rund 100 Hektar Land. Das ist keineswegs übergroß, im Schnitt haben Geflügelfarmen in der Region 15.000 Hühner. Auch Bio-Höfe. Ein Großhändler kauft ihm die Eier ab und beliefert damit die Supermärkte. „Damals war ich froh, Junghennen-Einkauf, Eier, Marketing, Entsorgung der Althennen – alles wurde mir abgenommen. Es war das ‚Rundum-sorglos-Paket’.“ Gleichzeitig verpflichtete er sich vertraglich, die 18 Wochen alten Junghennen von einem günstigen Aufzuchtbetrieb zu übernehmen. „Zu Anfang sahen sie noch gut aus, aber nach einem Jahr haben die so abgebaut, dass ich sie nicht mehr vorzeigen wollte.“ Er hat es dann mit einem Drittel weniger Tiere versucht, keine Verbesserung. Und die Kosten für Strom, Anlagen und Stall blieben

gleich. Damit von einem Endpreis von unter 40 Cent im Supermarkt etwas beim Bauern übrigbleibt (Bauer 0,12 Cent), müssen die Kosten so niedrig wie möglich sein. Beim Futter konnte ich nicht sparen, also musste ich die Kosten drücken und meine eigene Arbeit so gering wie möglich halten. Die Hühnerhaltung musste quasi zur Bestellung der rund 100 Hektar nebenher laufen. Nur so konnte ich verdienen.“

 

 

 

Acht Jahre machte er das, dann kam das Jahr 2009 die Wende: Ein Bio-Bauer aus der Nachbarschaft mit Eier-Direktverkauf gab seinen Betrieb auf. Dessen Kundenstamm konnte er dann übernehmen. Seine Eier vermarket er seitdem für einen besseren Preis direkt an Naturkostläden und als Marktfahrer. „Heute bin ich stolz wie Oskar, wenn ich meine Tiere präsentiere. Sie sehen topgefiedert aus.“ Er hat zu einen besseren Aufzüchter gewechselt, die Haltungsperiode von ein auf zwei Jahre verlängert und den Tieren eine zweimonatige Verschnaufpause vom Eierlegen gegönnt. Die Hühner haben nicht nur genügend Auslauf, sondern ebenfalls Hecken, Sträucher und Obstbäume als Zufluchtsorte. Das alles hat seinen Preis. Er verkauft seine Eier nun für 24 Cent das Stück und findet reißenden Absatz. Heute sagt er: „Es ist die falsche Einstellung, wenn Leute Bio wollen, aber es dann billig sein soll. Ich wünsche mir, dass die Menschen unter preiswert nicht nur ‚billig’ verstehen, sondern wieder: „Es ist seinen Preis wert!“

                                                             

Ende Beitrag 1 Text: obe / rajszár (Bio boomt)

Bilder: Wolf Rajszár

 

Beitrag 2 – Land der Billigesser

 Verstehen wir unter „Genuss“ wirklich alle das Gleiche? An welcher Stelle sind dabei die Lebensmittel gemeint? Ereilt uns der „Genuss“ bei Bio? Das Streben nach Genuss ist so alt wie die Menschheit. Epikur, der griechische Philosoph definiert Genuss als „Freude am intensiv gelebten Leben“. Wir leben in Österreich und Deutschland in einen der reichsten Länder der Welt und unter gut Essen verstehen viele fälschlicherweise Luxus. Die mangelnde Aufmerksamkeit für Lebensmittel hat gewaltige Folgen: Man(n) und Frau schenken Lebensmittel immer weniger Zeit, weniger Zeit für gustierendes Einkaufen, weniger Zeit für genüssliches Kochen, weniger Zeit für zelebrierte Tisch-und Esskultur. Wenn jemand Zeit und Geld einsparen will, woran denkt er zuerst? An das Essen!

 

 

 

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